RACHEL ATHERTON

Enduras Downhill Heldin

BALSAM FÜR DIE SEELE

Unser erstes Treffen mit Rachel Atherton fängt vielversprechend an. Wir besuchen sie in ihrer Heimat Wales, einen Tag nach ihrem 30. Geburtstag. Typisch für eine Frau ohne jegliches Angstgefühl postete sie anlässig ihres Geburtstags ein Bild von sich auf Instagram - und das in Unterwäsche.

„Downhill bringt man automatisch mit Rachel Atherton in Verbindung. Sie ist eine der wenigen SportlerInnen des britischen Radsports, die man in der Öffentlichkeit sofort wiedererkennt.“

„Wir wollten Bergsteigen gehen, das Wetter war allerdings so schlecht, dass wir auf halber Strecke umkehren mussten.“ „Daraufhin beschloss ich mich spontan auszuziehen. Fast wäre ich in den See gesprungen, aber dann fiel mir ein, dass das vielleicht doch keine so gut Idee ist. Ich entschied mich einfach so zu tun, als wäre ich reingesprungen. Es war so windig und ich konnte auf der Wand kaum aufrecht stehen!“

Da sie für Red Bull fährt und eine der erfolgreichsten Sportlerinnen der Downhill Szene ist, bringt man Downhill automatisch mit Rachel Atherton in Verbindung. Sie ist eine der wenigen SportlerInnen des britischen Radsports, die man in der Öffentlichkeit sofort wiedererkennt.

Als jüngste der Atherton Geschwister und als einziges Mädchen in der Familie wäre es verständlich, wenn sie frei nach dem Motto „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst,“ leben würde, aber dafür ist sie einfach zu cool.

Sie ist mit dem Downhill groß geworden. Downhill Mountainbiken ist ein wichtiger Bestandteil in Rachels Leben. Im Jahr 2002 wurde Rachel Atherton zum ersten Mal Britischer Downhill Champion der Jugend Kategorie. Siebzehn Jahre später ist sie die Downhill Spitzensportlerin Großbritanniens.

„Es ist jedes Mal aufs Neue seltsam, wenn Leute zu mir kommen und sagen: ‚Wegen dir hab ich mit dem Fahrradfahren angefangen‘.“Andererseits gibt es auch Sportler, die mich inspirieren. An dieser Aussage ist also durchaus etwas Wahres dran. Trotz alledem haben wir noch einen steinigen Weg vor uns, denn, wenn‘s um Frauen im Radsport geht, muss noch viel getan werden.“

Zumindest gibt es keinen Leistungsunterschied mehr. Da sie von Natur aus größer und stärker sind, werden die männlichen Downhill Profisportler immer schneller fahren können, als die weiblichen. Aber, genau wie die Männer, gehen die Frauen im Downhill beim Training an ihre Limits und sind so gut, dass sie jeden männlichen Downhill Fahrer, der nicht an Weltmeisterschaften teilnimmt, locker ausschalten könnten.

Atherton meint, dass wir uns durch die zunehmenden Standards im Frauenradsport in einem Teufelskreis befänden. Die Standards sind zwar gestiegen, Sponsoren sind dadurch allerdings weniger daran interessiert Risiken einzugehen und in frische Talente zu investieren. Die letzte Hürde, die es laut Rachel Atherton zu bewältigen gilt, ist, gleiche Möglichkeiten auf jedem Leistungsniveau zu schaffen.

RACHEL ATHERTON
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DEUTLICHE WORTE FINDEN

Lange Zeit war sich Rachel Atherton der Ungleichheiten zwischen Mann und Frau im Downhill Sport nicht bewusst, da sie in einem kleinen Dorf aufwuchs und am Wochenende mit ihren zwei Brüdern mit dem BMX-Rad die Trails runter bretterte. Selbst heute muss sie sich eingestehen, dass sie dank ihrer Erfolge bei den Weltmeisterschaften und als Tochter der Downhill Mountainbike Familie schlechthin nicht wirklich von den Ungleichheiten im Downhill Sport betroffen ist.

Es ist offensichtlich, dass Rachel Atherton stolz darauf ist, Mountainbikerin zu sein und diesen Sport, der vor weiblichen Talenten nur so sprüht, nicht gerne kritisiert. Dennoch ist sie der Meinung, dass man klar und deutlich hervorheben muss, dass sich die Dinge ändern müssen. Das gilt nicht unbedingt für sie selber, als Spitzensportlerin, sondern für all die Frauen, die sich noch nach oben kämpfen müssen.

DER ZWEITE IST NUR DER ERSTE VERLIERER

Aber Rachel Atherton will immer gewinnen.

„Ich glaube niemandem, der sagt: ‚Ich hab mein Bestes gegeben, mehr kann man nicht erwarten‘.“ Ich kann das immer nicht glauben! Klar, gibt es Momente, in denen einem klar ist, dass man nicht gewinnen kann. Einmal bin ich mit einer Schulterverletzung gefahren und es war offensichtlich, dass ich nicht als Erste in Ziel fahren würde. Tief in dir hoffst du allerdings, dass du es doch schaffen könntest. Der Wunsch zu gewinnen steckt einfach in jedem einzelnen von uns. Du kannst behaupten, was du willst, aber jeder weiß, warum du am Rennen teilnimmst.“

„Das schlechte Gefühl einer Niederlage ist immer schlimmer, als das gute eines Sieges.“ Gewinnen fühlt sich gut an, es ist das, wonach jeder strebt, aber Verlieren ist definitiv schlimmer. Wenn du nicht gewinnst, fühlst du dich einfach immer schlechter und du wirst dieses schlechte Gefühl auch nicht wieder los. Es ist schwer zu erklären, wie sich verlieren anfühlt. Es ist das, was dich anspornt weiterzumachen.

RACHEL ATHERTON
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HINFALLEN; AUFSTEHEN; WEITERMACHEN

Die Angst des Versagens ist tief in Rachel Atherton verankert. Sie ist so stark, dass Rachel jedes Mal wieder aufs Fahrrad steigt, während Erfolgserlebnisse sie hingegen zum Aufhören bringen könnten. Im Laufe ihrer Karriere hat sich Rachel Atherton schon so einige Verletzungen zugezogen, sie hat sich aber jedes Mal wieder aufgerappelt und die Kraft gefunden weiterzumachen.

„Ich finde, dass die mentale Herausforderung schlimmer ist, als die körperliche. Klar hat man Schmerzen von den Operationen und so, aber es ist wirklich schwer sich mental darauf einzustellen, dass man von der einen Sekunde auf die andere aus dem Rennen fliegen könnte, um sich wenige Minuten später in der Rehaklinik zu befinden.“

WUNDEN MÜSSEN ERST MAL HEILEN

Die psychischen Narben sind stärker. Zeit heilt Wunden, aber nur die körperlichen. Der Schmerz des Verlierens geht nicht so einfach weg, egal ob sich der Körper nach außen hin vollständig von den Schmerzen erholt.

DAS GESAMTPAKET IST ENTSCHEIDEND

Hinzufallen und wieder aufzustehen erfordert viel Mut. Vielleicht bewundern die Menschen den Downhill Sport so sehr, da er so viel Mut erfordert. Die Sportler und Sportlerinnen sind wie Helm tragende Gladiatoren, die losziehen, um sich mit steilem Gefälle und der Erdanziehungskraft zu messen.

„Nach einem Sturz fragt man sich nur: ‚Wie kann ich jemals wieder auf mein altes Leistungsniveau zurückkommen?‘ Dieses Ziel scheint unerreichbar zu sein. Mein Bruder Dan und ich haben auf dem Weg hierher darüber geredet. Man muss einfach wissen, wie man richtig fährt. Einerseits ganz natürlich und ganz im Bewusstsein dessen, was einen erwartet, aber auch entspannt und nicht zu verkrampft oder zu ängstlich, denn dann passieren Unfälle. Um auf das Niveau eines Weltmeisters zu kommen, muss das Fahrrad so zu sagen mit deinem Körper verschmelzen.

RACHEL ATHERTON
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DAS PERFEKTE RENNEN GIBT ES DOCH

Spaß gehört einfach zum Downhill dazu. Selbst wenn Rachel Atherton nun genauso an ihrem Selbstvertrauen arbeitet, wie an ihren Fahrradkünsten, ist es immer noch ihre Liebe zur Schnelligkeit, die sie immer weitermachen lässt. Nichts ist aufregender, als Adrenalin, obwohl der Fokus natürlich mehr auf Leistung liegt, als auf purem Vergnügen.

Atherton besteht aber darauf, dass die beiden Komponenten Leistung und Schnelligkeit untrennbar sind, denn sie hat am meisten Spaß an einem Rennen, wenn sie die Schnellste ist. Wenn es nach ihr ginge, sollte das Gefühl des Schnellfahrens bei einem Rennen nie aufhören.

„Ich vergleiche das immer mit dem Tanzen oder einer Meditation. Man erlangt so ein großes Körperbewusstsein. Man ist sich jedem Atemzug bewusst und mit dem Körper im Einklang. Man merkt sogar, wann man während des Rennens blinzeln muss, denn man sollte beim Fahren auf Steinen nicht blinzeln. Jede Kleinigkeit ist wichtig. Einem wird auch klar, wie viele Zuschauer eigentlich da sind, um dir beim Rennen zuzusehen. Manchmal riecht man sogar das Bier und hört die Musik. Das sind wirklich komische Momente. Klar, wenn man hinfällt, dann ist das weniger schön, aber wenn alles glattgeht, hat man unglaublich viel Spaß.“

„Ich rede immer zu vom perfekten Rennen. Viele Fahrer meinen, dass kein Rennen perfekt ist. Ich finde aber, dass viele Rennen, die ich fahre, perfekt sind. Das perfekte Rennen bedeutet, dass man jeden Punkt der Strecke perfekt bewältigt, dem Stein gerade so ausweichen kann und es gerade noch so schafft zu bremsen. Das ist wirklich ein geniales Erlebnis. Genau aus diesem Grund fährt man immer wieder und geht dabei Risiken ein. Das macht einfach am meisten Spaß.“

RACHEL ATHERTON
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EINE FAMILIENANGELEGENHEIT

Die Frage nach ihrer Familie hängt Rachel Atherton wahrscheinlich schon zu den Ohren raus. Dennoch ist diese Frage jedes Mal aufs Neue interessant.

Es gibt nur wenige Fahrer wie die Athertons. Die Wahrscheinlichkeit, dass drei weltklasse Downhill Fahrer aus ein und derselben Familie stammen ist wirklich selten. Die Faszination liegt auch darin, dass drei Kinder, die einfach Spaß am Fahrrad fahren haben, zusammen ein Unternehmen aufbauten, dass heute von einigen der größten Fahrradfirmen der Welt gesponsert und von Manager Dan Brown geleitet wird. Wenn aus Familie gleichzeitig Arbeitskollegen werden, wie meistert man das?

„Es hat definitiv Vor- und Nachteile mit der eigenen Familie zusammenzuarbeiten. Man muss einfach ehrlich zueinander sein“, meint Atherton. „Diese brutale Ehrlichkeit, aber auch die unendliche Unterstützung, die man erfährt, sind unglaublich wichtig. Es ist wichtig, dass einem jemand den Marsch bläst, wenn man zu langsam fährt. Es ist auch wichtig, dass einem gesagt wird, dass man sich in einer Sache verbessern muss, oder, dass man nicht faul rumhängen soll, sondern rausgehen und trainieren muss.

Ich musste aber dennoch meinen eigenen Fahrstil entwickeln und mich von meinen Brüdern abgrenzen. Ich wollte nicht einfach in Gee‘s Fußstapfen treten, da wir ja auch nicht mehr zusammen trainieren. Ich habe im Laufe der Zeit so einiges dazu gelernt. Ich habe gelernt mir selbst zu vertrauen und mir selbst ein Urteil zu bilden. Mich selbstständig weiterentwickelten und nicht einfach meinen Brüdern zu folgen, hat mich zu einer eigenständigeren Fahrerin werden lassen.“

RACHEL ATHERTON


FOOTNOTES Words by Timothy John. Images by Sean Hardy

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