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LUCY CHARLES

Ab nach Kona – 99 % Fokus, 1 % Angst

99 % FOKUS, 1 % ANGST

Viele haben ihn, den Killerinstinkt, aber niemand verkörpert ihn so charmant wie Lucy Charles. Das zeigt sich auch wieder, als wir sie zum Interview in einem Café treffen. Durch ihre liebe und freundliche Art, ist es leicht zu vergessen, dass sie bei Wettbewerben ihre Gegner*innen gnadenlos hinter sich lässt und ein eisernes Durchhaltevermögen beweist.

Genau dieses Durchhaltevermögen verhalf ihr im Jahr 2017 dabei, den zweiten Platz bei ihrer ersten Ironman-Weltmeisterschaft zu belegen. Die 24-Jährige ist aber noch längst nicht am Ziel angekommen.

Schon in jungen Jahren wurde ihr Talent fürs Schwimmen entdeckt. Dazu meint Lucy: „Ich habe so breite Schultern, ich bin einfach die geborene Schwimmerin.“

Das Schwimmtraining war hart. Meist begann es schon um 5 Uhr morgens vor der Schule und nach der Schulte wurde weiter trainiert. Man muss viel Disziplin mitbringen und einen eisernen Willen haben, um sich im Alter von neuen Jahren schon so einem Training zu unterziehen. Als Lucy acht Jahre alt war, war ihr bereits klar, dass sie Olympioniken werden wollte. Wir fragen Lucy, wie sie sich ihre Karriere mit acht erträumt hat: „Als ich acht war, wollte ich als Schwimmerin zu den Olympischen Spielen. Und wenn nicht als Schwimmerin, dann in irgendeiner anderen Disziplin.“

Wie bei so viele Spitzensportler*innen, war auch Lucy Charles Weg nicht immer nur von Erfolg gekrönt. Vor einigen Jahren stand Charles kurz davor bei den Olympischen Spielen als Langstreckenschwimmerin für Großbritannien an den Start zu gehen. Leider hatte sich das Gremium dann aber umentschieden und sie konnte bei den Olympischen Spielen in London 2012 doch nicht dabei sein. Nach dieser Entscheidung war Charles am Boden zerstört und ihr Kindheitstraum schien in weite Ferne gerückt zu sein. Sie traf eine schwere Entscheidung.

„Als ich mich dazu entschied nicht mehr schwimmen zu gehen, hatte ich wirklich ein schlechtes Gewissen meinen Eltern gegenüber, denn sie hatten meine ganze Kindheit damit verbracht, mich bei meinem Traum zu unterstützen und mich zum Trainieren ins Schwimmbad zu fahren“, erklärt Lucy. Es ist kein schönes Gefühl, die Auswahl für die Olympischen Spielen zu verpassen und dann wieder vier Jahre bis zur nächsten Auswahlrunde warten zu müssen. Charles war damals einfach so enttäuscht, dass sie sich dazu entschied den Sport aufzugeben.

Was sollte als Nächstes kommen?

„Ich habe alles hingeschmissen und angefangen in der Marketingabteilung für einen Zoo bei mir in der Nähe zu arbeiten.“ Damit war Charles natürlich nicht glücklich. „Schon nach zwei Monaten hatte ich genug und sehnte mich danach wieder Sport zu machen.“

KEINE HALBEN SACHEN

Viele Menschen, die an einem Ironman teilnehmen, stellen sich nur eine Frage: Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Aber Charles war entschlossen die 3,8 km schwimmen, 180 km Fahrradfahren und den anschließenden Marathon zu meistern. Ihr Ironman-Debüt im englischen Bolton sollte schließlich im Juli 2014 stattfinden.

„Wir hatten früher ein Mountainbike zu Hause und ich dachte, dass ich das einfach verwenden könnte. Da habe ich mich gehörig getäuscht“, räumt Charles ein. Sie musste erstmal lernen auf Clip-In Pedalen zu fahren. Außerdem ist sie damals einfach in ihren Laufklamotten erschienen und das brachte ihr viel Gelächter ein. Manche Regeln müssen einfach nicht sein.

Schließlich belegte sie den zweiten Platz in ihrer Altersgruppe. Bald darauf hörte sie von der Weltmeisterschaft in Kona und sie war sofort angetan. Im Jahr 2015 schaffte sie es dann sich für Kona zu qualifizieren und belegte in ihrer Altersgruppe den ersten Platz! „Ich wollte einfach professionell an die Sache rangehen. Ich kann einfach nicht nur so aus Spaß teilnehmen, ich muss immer das Beste herausholen“, meint Charles.

Spätestens in diesem Moment wird klar, dass sie keine halben Sachen macht.

Diese Einstellung kann einen auch in Schwierigkeiten bringen. Das Training ist extra anstrengend und Charles musste schnell feststellen, dass sich das Rennen anders auf den Körper auswirkt als das Schwimmen. Sie hat sich so einige Verletzungen zugezogen.

„Als ich 2016 eine Beinverletzung hatte, habe ich trotzdem einen ganzen Ironman und einen halben Ironman durchgezogen. Ich musste ich auch nicht genau, woher die Verletzung kam. Irgendwann ist es so schlimm geworden, dass ich zum Doktor bin“, sagt Charles.

Lucy Charles hatte eine Knochenfraktur, die so schlimm war, dass ihr Knochen beim nächsten Rennen komplett abgeschnitten worden wäre. Da wusste sie, dass sie sich noch viel besser mit ihrem Körper befassen musste und, dass sie noch viel zu lernen hatte.

Lucy Charles

AUTHENTISCH SEIN

Manchmal muss man einfach so tun, als hätte man eine Ahnung, vor allem dann, wenn die meisten Konkurrent*innen sich seit Jahren mit dem Sport beschäftigen. Gab es den einen Moment, in dem Dir klar wurde, dass Du wirklich Potenzial hast?

„Ich glaube, das war, als ich 2017 in Lanzarote gewann. Da ist mir klar geworden, dass ich das tatsächlich kann. Auf dem Rad hatte ich sogar einen 20-minütigen Vorsprung. Das war sehr überraschend, denn als ich mit dem Triathlon anfing, dachte ich, dass mir das Fahrradfahren nicht wirklich liegt. Mein Vater meinte zu mir, dass ich sogar einen Streckenrekord auf dem Fahrrad gebrochen hätte. Das wollte ich gar nicht glauben“, lacht Charles. Durch so eine Leistung verspürt man Druck und dieser kann schwer auf einem lasten.

KONA - MADNESS AUF HAWAII

„Auf Kona wollte ich einfach in die Top 10 kommen.“ Das war ihre offizielle Aussage. „Wenn ich ehrlich bin, wollte ich es schon aufs Podium schaffen. Ich wusste aber nicht, wie schwer das sein würde.“

Am Ende war es machbar und Charles führte in weiten Teilen des Rennens. Erst in den letzten Kilometern der Radetappe wurde sie von Daniela Ryf, der amtierenden Weltmeisterin, eingeholt.

„Auf Kona wollte ich einfach in die Top 10 kommen.“

„Da ich so lange in Führung lag und dann letzten Endes Zweite wurde, fragten mich nachher alle, ob ich sehr enttäuscht sei. Ich war einfach nur froh, es in die Top 10 geschafft zu haben.“ Nach dem Rennen meinte Ryf, dass Charles eine der schwierigsten Gegnerinnen war, der sie sich jemals hatte stellen müssen. Es war einfach großartig so ein Kompliment von der Weltmeisterin zu bekommen. Im Jahr 2017 hatte sie ihren Durchbruch, aber im darauffolgenden Jahr war sie genauso erfolgreich, denn sie belegte sowohl beim Ironman in Südafrika als auch in Cannes den ersten Platz.

Wie schaffst Du es mit dem Druck umzugehen?

„Ich weiß, was ich kann. Ok, ich muss zugeben, dass ich vor allzu langer Zeit noch nicht mal richtig auf einem Fahrrad sitzen konnte. Manchmal kann ich es gar nicht glaube, was ich alles geschafft habe. Ich bin definitiv selbstbewusster geworden.“

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NEUE ZIELE ERREICHEN

Wir haben Lucy Charles auch gefragt, was sie ihrem 12-jährigen Ich heute raten würde. „Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, denn rein mental hatte ich schon die richtige Einstellung, die mir geholfen hat, das zu erreichen, was ich heute erreicht habe. Es gab aber auch Zeiten, in denen ich mir selber so viel Druck gemacht habe. Ich würde mir deshalb raten, die Zeit einfach zu genießen.“

Ein kometenhafter Aufstieg, wie ihn Charles hingelegt hat, kann manchmal den wahren Fortschritt trüben und man vergisst den eigentlichen Erfolg wertzuschätzen. Es muss schwer sein, wenn alle eine Meinung über Dich haben und Deine bevorstehende Karriere bewerten. „Viele sagen zu mir, dass ich die nächste Chrissie Wellington bin. Ich möchte aber niemanden ersetzen. Ich will einfach ich sein und mein Ding durchziehen. Ich will Dinge tun, die noch niemand vor mir getan hat. Niemand vor mir hat jemals Überschuhe bei einem Ironman getragen. Da musste ich es einfach ausprobieren.“

„Als ich noch ein Kind war, bin ich nie mit Freund*innen rausgegangen. Die meisten Menschen sind es gewohnt, dass ich sie im Stich lasse. Das war es aber alles wert.“

Charles ist sehr selbstreflektiert und hat sich seit ihrem achten Lebensjahr eine gewisse Stärke angeeignet. Sie hat eine Ahnung von dem, was sie tut und hat vieles aufgegeben, um dort

hinzukommen: „Als ich noch ein Kind war, bin ich nie mit Freund*innen rausgegangen. Die meisten Menschen sind es gewohnt, dass ich sie im Stich lasse. Das war es aber alles wert.“

Um nach oben zu kommen, braucht man einen Tunnelblick und Freude am Miteinander. Charles hat beides und das sieht man auch. Sie hat einfach den Killerinstinkt und wird noch weit kommen.

FOOTNOTESWords by Hannah Troop. Images by Brakethrough Media & Eilidh McKibbin.

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