JENNY GRAHAM
Mit dem Fahrrad um die Welt
Wenige Teile der Erde sind noch unentdeckt und dank Google Maps können wir vieles ganz bequem vom Sofa aus erforschen. Jenny Graham sieht das allerdings ein wenig anders. Bei ihren Abenteuern geht es viel mehr darum, sich selbst zu finden, als neue Orte zu erkunden. Ihre neueste Expedition brachte sie an ihre körperlichen Grenzen und verhalf ihr zu einem neuen Weltrekord. Sie fuhr in 124 Tagen mit dem Fahrrad um die Welt und legte dabei fast 29.000 Kilometer zurück. Damit brach Graham den bisherigen Weltrekord um ganze 20 Tage.
Jenny Graham stammt aus den Schottischen Highlands. Sich draußen aufzuhalten und die Natur zu genießen sog sie also schon mit der Muttermilch auf. Nachdem Du die Strecke Land Ends nach John O'Groats in 96 Stunden gemeistert hattest, stand da schon fest, dass Du um die Welt fahren möchtest?
„Ich war einfach neugierig, ob ich es schaffen könnte. Ich hatte erst fünf Jahre zuvor mit dem Fahrradfahren angefangen. Jedes Jahr habe ich mich dann verbessert und an Ausdauer dazugewonnen. Ich habe gemerkt, wo meine Stärken liegen“, meint Graham.
Man muss eine mentale Barriere überwinden, indem man wirklich realisiert, dass man sich dieser Herausforderung jetzt wirklich stellen wird.
Man muss eine mentale Barriere überwinden, indem man wirklich realisiert, dass man sich dieser Herausforderung jetzt wirklich stellen wird. Wenn man zu lange darüber nachdenkt, fängt man an, die Idee zu romantisieren und man vergisst, die Herausforderung, die vor einem liegt. Wenn man dann auch noch an die Öffentlichkeit geht, steigt der Druck enorm.
Zu Beginn erzählte Graham nur wenigen Menschen, was sie vorhatte. Einer davon war ihr 20-jähriger Sohn Lachlan. Er meinte nur: „Das war mir klar, dass du das machst.“ Ihr Trainer, John Hampshire, war begeistert von der Idee und meinte: „Ich werde dich auf diese Reise vorbereiten.“ Die Filmemacher Mike Webster und Tom Hogben waren auch sehr angetan von der Idee, genau wie Lee Craigie, eine ehemalige Profisportlerin, die Frauen dazu ermutigt, mit dem Radsport zu beginnen. nnerhalb weniger Monate hatte Graham also eine Handvoll Unterstützer*innen.
„Es ist wirklich ein Wunder, dass ich bei dem Druck nicht zusammengebrochen bin“, meint Graham. Am Abend bevor es losging stellte ich fest, dass ich noch nicht einmal meine Routen heruntergeladen hatte. Ich dachte nur: „Ich werde nicht mal aus Berlin herausfinden.“
Wenn du nicht mal die Basics beherrschst, wie willst du da um die Welt fahren?
„Da hat auch noch mein Navigationsgerät nicht funktioniert. Ich habe zwei Stunden gebraucht, um die halbe Weltkarte zu downloaden. Wenigstens hatte ich somit bis Neuseeland Zeit, den Rest herunterzuladen. Ich bin an dem Abend ins Bett gegangen und fühlte mich einfach furchtbar“, erzählt sie. Graham war komplett erschöpft von dem 20-stündigem Training pro Woche, das sie neben ihrem Vollzeitjob absolvierte. Außerdem musste sie Sponsor*innen für ihre Reise gewinnen.
Als es dann losging, lastete die Sache mit dem nicht funktionierendem Navigationsgerät noch schwer auf ihr. Ich dachte nur: „Wenn ich nicht mal die einfachsten Dinge hinbekomme, wie soll ich dann eine Weltreise schaffen.“
Grahams starker schottischer Akzent unterstreicht noch einmal ihre Emotionen. Damit schafft sie es jede*n mit ins Boot zu holen. Ihr energiegeladenes Ich hat sie auf der ganzen Reise über begleitet und ihr unzählige Male dabei geholfen weiterzumachen.
Wenn man einen Weltrekord brechen will, muss man einige Auflagen erfüllen. Es ist nicht vorgegeben, ob man zuerst nach Ost oder West fährt, es ist aber vorgegeben, dass man eine bestimmte Zeit lange in eine bestimmte Richtung fährt. Über Land muss eine Mindeststrecke von fast 29.000 Kilometern zurückgelegt werden und die gesamte Reise muss den Umfang des Planeten umfassen, also die gesamten 40.000 Kilometer. Man muss durch zwei Anti-Polar-Punkte reisen. Graham hatte sich für Spanien und Neuseeland entschieden. Außerdem ist es nicht erlaubt, dieselbe Längengradlinie zweimal zu überqueren.
„In Peking gibt es eine Route, bei der man mit der in Perth übereinstimmen muss, obwohl beide meilenweit voneinander entfernt sind. Da das aber mein nächstes Ziel war, habe ich es geschafft nicht zweimal dieselbe Längenlinie zu überqueren.“
Obwohl fast 7,5 Milliarden Menschen auf den Planeten leben, gibt es so viele unzählige unbewohnte Landstriche. Die Einsamkeit kann einen in den Wahnsinn treiben. Für Manche bietet sie aber auch einen Ort des Nachdenkens. Als Graham durch die Gobi Wüste fuhr, begegnete sie stundenlang keiner Menschenseele.
Sie fühlte sich aber dennoch nie allein: „Manchmal fährt man an Feldern vorbei und plötzlich tauchen ein paar Männer auf. Wann fragt sich dann schon, wo die so plötzlich herkommen. Einmal hatte ich eine Panne und plötzlich, aus dem Nichts, tauchte dieser Typ auf und bot an, mir zu helfen. Ich war irgendwo im Nirgendwo und bekam diese Hilfe angeboten. Man ist einfach nie wirklich allein. Alle waren so freundlich. Wenn ich alleine aß, gesellte sich einfach jemand zu mir, so, als würde sich eine Freundin neben mich setzen. Ich habe so viele Aufnahmen von meinen Erlebnissen machen können.“
Graham war überwältigt von der unglaublichen Gastfreundschaft, die ihr die Menschen entgegenbrachten. Es gab so viele Momente, in denen ihr andere geholfen haben und sicherstellten, dass sie weiterfahren konnte. „Die Menschen in den Fahrradläden vor Ort haben immer alles getan, um mich wieder auf Kurs zu bringen. Wenn man immer davon ausgeht, dass die Welt ein scheinbar schlechter Ort ist, dann ist man umso überraschter, dass so viele Menschen dazu bereit sind, einem unter die Arme zu greifen. Einmal, hatte der Fahrradladen schon geschlossen und der Besitzer hat ihn extra für mich wieder aufgemacht, um mir zu helfen.
In Australien hat mir ein Mann sein Auto leihen wollen, damit ich weitermachen kann. Das habe ich abgelehnt, da ich nur Fahrradschuhe hatte und somit nicht Autofahren konnte. Ich wurde auch von Leuten zum Supermarkt gefahren und sie haben mir beim Essen kaufen geholfen. Manche haben auch meine Kleider gewaschen, sie in ihrem Laden aufgehängt und mich, während sie trockneten, mit Kaffee versorgt“, meint Graham.
Es gab aber auch Momente, in denen sie Angst hatte und um ihr Leben fürchtete. Auf der Transsibirischen Autobahn fuhren Lastwägen mit einer Geschwindigkeit von fast 100 km/h an ihr vorbei und hupten, dass sie Platz machen sollte. Graham musste dann in die Gräben daneben ausweichen. „Ich begann mich zu fürchten und wusste, dass das extrem gefährlich werden kann. Wenn man dann auch noch 15 Stunden pro Tag unterwegs ist, muss man öfter vom Fahrrad absteigen, um die körperliche Belastung auszuhalten. Ich wusste, dass ich nicht so weitermachen konnte. Das würde mich noch ins Grab bringen“, meint sie.
„Als ich in Kanada war, hatte ich Angst vor den Bären. Ich habe wie eine Verrückte in meine Pfeife geblasen, um die Bären von mir fernzuhalten. Ich hatte Panik und wollte auf keinen Fall einem Bären begegnen. Irgendwann muss man aber runterschalten und sich an die Situation gewöhnen.“
Manchmal machte ihr auch das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Es regnete am morgen und sie hatte eine 14-stündige Fahrt vor sich. „Da will man das Café gar nicht mehr verlassen. Es ist so schwer sich aufzurappeln und weiterzufahren. Man braucht echt Durchhaltevermögen, um das zu schaffen“, gibt Graham zu.
Jenny Graham ist Schottin und wenn sich eine Schottin Probleme mit dem Wetter hat, heißt das wirklich was. Diese Reise forderte ihr wahrhaftig alles ab.
„Ich war immer müde und konnte mir nicht vorstellen, diesen Schlafmangel jemals nachzuholen“, erklärt Graham.
Meine Zeit war einfach gekommen, ich musste das durchziehen.
Nach 251 Kilometern innerhalb von 124 Tagen, stand schließlich die letzte Etappe an. Um diese zu meistern, fuhr Graham 30 Stunden am Stück durch und kam letzten Endes in Berlin an. Dort wurde sie von Freund*innen und der Familie begrüßt.
Ihr unglaubliches Durchhaltevermögen und ihr Ehrgeiz hatten es ihr ermöglicht den Rekord zu brechen. Es muss aber auch Momente der Schwäche gegeben haben.
Gab es einen Moment, in dem Du aufgeben wolltest?
„Niemals! Obwohl es einige schlimme Momente gab, habe ich nie aufgegeben und wusste, dass ich das jetzt durchziehen muss. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich hätte es nicht besser machen können.“
FOOTNOTESWords by Hannah Troop, Photos by James Robertson & Jenny Graham Berlin, Germany© 2021 ENDURA