RICHMOND CYCLING CORP

Kannst du dich noch an dieses befreiende Gefühl erinnern, als du zum ersten Mal auf einem Fahrrad gesessen bist? Der Moment, in dem du den Wind um die Nase und diese Unbeschwertheit gespürt hast? Oder den Moment, an dem du beim Fahren zum ersten Mal an deine Grenzen gekommen bist, dich aber bis zum Schluss durchgekämpft hast?

Ja, Fahrradfahren kann so vieles sein und unglaublich viele Emotionen in uns auslösen. Man lernt dadurch aber nicht nur den eigenen Körper besser kennen, sondern merkt, wie weiter er einen tragen kann und spürt diese grenzenlose Freiheit, die auf jeder neuen Strecke vor einem liegt. Wäre es da nicht ein wunderschönes Gefühl, ja sogar ein Privileg, diese Erfahrung mit anderen zu teilen und ihnen das Radfahren näherzubringen? 

Richmond Cycling Corps (RCC) - eine gemeinnützige Organisation im US-Bundesstaat Virginia - die unterprivilegierte Jugendliche unterstützt, hat sich genau das zur Aufgabe gemacht.

Alles begann im Jahr 2005, als Craig Dodson - ein damaliger Semi-Pro Fahrer - an einem Freizeitzentrum in Richmond, Virginia, vor Jugendlichen ausa ärmeren Verhältnissen einen Vortrag hielt und dabei schnell merkte, dass er mit seinen wohlwollenden Worten nicht wirklich viel ausrichten kann. Durch dieses Erlebnis musste er darüber nachdenken, wie gut es ihm eigentlich geht und wo er gesellschaftlich steht. Dieser Gedanke sollte ihn noch über Jahre begleiten.

Wenn man in den Südstaaten der USA über Privilegien spricht, muss man unweigerlich an die lange Geschichte der Rassentrennung und Sklaverei, die auch heute noch schwer auf der Geschichte der Stadt Richmond und auch auf dem gesamten US-Bundesstaat Virginia lasten, denken. Viele Denkmäler, die an die Zeit der Sklaverei erinnern, prägen auch heute noch das Stadtbild von Richmond und sind in ganz Virginia zu finden. Aber nicht nur das; auch rassistische Propaganda ist in diesem Teil der USA noch allgegenwärtig. Die jahrhundertelange systematische Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung hat das Leben so vieler Menschen geprägt und dieses Leid ist immer noch sichtbar.

Fünf Jahre nachdem Dodson seinen Vortrag gehalten hatte, war die Organisation Richmond Cycling Corps (RCC) geboren. Mit Hilfe dieser Organisation wollte er das, was ihm das Fahrradfahren gibt, an andere weitergeben. Das ist aber längst nicht alles. Bei RCC wird Jugendlichen Verantwortung beigebracht und ihnen werden die Konsequenzen ihres Handelns aufgezeigt. So hat sich das Programm von Richmond Cycling Corps inzwischen weiterentwickelt und es geht nicht mehr nur ums Fahrradfahren. Es wird sich unter anderem für die Gemeinden vor Ort eingesetzt und es gibt zahlreiche Freizeitgebote für Jugendliche. Manche von ihnen sehen RCC inzwischen als eine wichtige Stütze für ihr Leben an. Einer, der RCC von Beginn an kräftig mit unterstützt hat, ist Matt Kuhn, der Leiter der Organisation. Seit über zehn Jahren ist er dort ehrenamtlich tätig und seit 2015 als Festangestellter mit an Bord.

Vor sieben Jahren wurde dank Richmond Cycling Corps das erste Fahrradteam an einer Highschool mit Jugendlichen aus einkommensschwächeren Gegenden gegründet und eines der Kids schaffte es sogar in die Top 25 der besten Fahrer*innen von ganz Virginia aufzusteigen.

Zwei Jahre darauf wurde The Kickstand eröffnet, ein Fahrradladen, der sich auf dem Virginia Capital Bike Trail, einer riesigen Fahrradstrecke zwischen Richmond und der historischen Stadt Jamestown befindet, eröffnet. Der Laden wird von RCC betrieben und bietet alles, was das Fahrradherz begehrt - egal, ob Fatbike oder Tandem.

Die Geschichte geht aber noch weiter. Im Jahr 2017 hatte Richmond Cycling Corps dann bereits die erste Schule gegründet, damit benachteiligte Jugendliche die Hilfe bekommen, die sie auf normalen staatlichen Schulen nicht erhalten. Es ist eine Schule, die sich wirklich um die Belange der Heranwachsenden kümmert und individuelle Nachhilfe anbietet.

Viele Mitarbeiter*innen bei RCC haben enge Beziehungen mit vielen Familien aufgebaut. Es ist daher keine Seltenheit, dass sie auch ab und zu bei ihnen zu Hause vorbeikommen, um sicherzustellen, dass sie dort genug zu essen bekommen. Manche Mitarbeiter*innen fahren die Jugendlich sogar zu Gerichtsterminen, sollten sie in Konflikt mit dem Gesetz geraten sein.

Wenn wir einmal an unsere Jugend zurückdenken, hätten wir das nicht auch gerne gehabt? Jemanden, der uns zuhört und unsere Probleme ernst nimmt?

Auch das Fahrradfahren kann einem so viel mitgeben und lehren. Man wird selbstständig, lernt mit Schmerzen und Niederlagen klarzukommen und geht an die eigenen Grenzen.

Aufgrund der Corona-Krise musste die Schule leider schließen und das Gebäude aufgegeben werden. Den Schüler*innen wird aber trotzdem weiterhin durch Online Unterricht geholfen, sich auf ihren Schulabschluss vorzubereiten, und dank der Corona-Impfungen wird auch Unterricht vor Ort bald wieder stattfinden können. Die Organisation ist auch gerade dabei ein neues Gebäude für die Programmzentrale und die Schule zu suchen. Alle Beteiligten freuen sich auf den Neuanfang und das neue Gebäude, um die Schüler*innen endlich wieder persönlich unterrichten zu dürfen. Dank der finanziellen Unterstützung von Endura hofft die Organisation darauf den Armstrong Bike Park ausbauen zu können. Ein Pavillon im Freien und zusätzliche Fahrradstellplätze stehen auch auf dem Programm.

Anfang Mai fand außerdem auch das erste Rennen der diesjährigen Saison statt und die Vorfreude war kaum auszuhalten, da in dieser Saison 14 Teilnehmer*innen von RCC an den Start gingen. Alle wurden dabei vollständig von Endura ausgestattet.

Wenn Matt auf seine sechs Jahre mit RCC zurückblickt, merkt er immer wieder, wie viel ihm die persönlichen Beziehungen zu den Jugendlichen bedeuten und, dass das eine der

Errungenschaften der Organisation ist.

Oder anders ausgedrückt: Richmond Cycling Corps ist offiziell ein Radsportprogramm, das in Wahrheit aber so viel mehr leistet. Es verändert ganze Gemeinden und bietet Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen eine Perspektive.

FOOTNOTES Words by JP Bevins, Photos by Robin Pyle. Richmond, VA, USA